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In der emotionalen Raserei des Krieges kann es geschehen, dass selbst der härteste Krieger über das, was er tun muss, Tränen vergießt.
Oberkommandierender Vorian Atreides,
Kriegserinnerungen
Während die Roboterflotte nach Salusa flog, setzte die Djihad-Armee die Große Säuberung fort, um die der Verteidigung entblößten Synchronisierten Welten auszuradieren. Am Ende dieses Kampfes würden entweder die Menschen oder die Denkmaschinen ausgerottet sein. Es konnte unmöglich einen anderen Ausgang geben.
Auf der Kommandobrücke seines umgerüsteten Flaggschiffs LS Serenas Sieg verkrampfte sich Vorian Atreides unwillkürlich, als man den Holtzman-Antrieb aktivierte. »Bereithalten zum Abflug. Omnius wartet auf uns.«
Die zahlreichen Besatzungsmitglieder aus den Reihen der Märtyrer-Jünger sprachen vor dem ersten Faltraum-Sprung ein inbrünstiges Stoßgebet. Vorian hingegen verließ sich lieber auf die verbesserten, versiegelten Navigationssysteme, die Norma Cevna insgeheim auf einigen seiner leistungsfähigsten Kriegsschiffe installiert hatte. Er war und blieb ein pragmatischer Kommandant.
»Für Gott und die heilige Serena«, rief einhellig die Besatzung.
Zur Ermutigung nickte der Oberkommandierende dem blassen Steuermann zu. Als er den Befehl zur Faltraum-Durchquerung gab, schloss er – wider Willen – die Augen, bevor die Kampfgruppe in die unberechenbar gefährlichen Dimensionen des Faltraums überwechselte. Er war immer bereit dazu gewesen, im Kampf gegen die Denkmaschinen zu sterben. Doch er hoffte, den Tod nicht dadurch zu finden, dass er irgendwo verloren ging oder zufällig mit einem Himmelskörper kollidierte.
Schon vor Jahrzehnten war die Sicherheit der Faltraumschiffe durch Norma Cevnas Prototyp des computerisierten Navigationssystems wesentlich erhöht worden, aber der kleinmütige Djihad-Rat hatte die weitere Verwendung untersagt. Vorian jedoch hatte sich mit ihr in der VenKee-Werft, wo man gegenwärtig Raumfahrzeuge der Djihad-Armee mit Holtzman-Triebwerken ausrüstete, privat verständigt. Auf unmittelbaren Wunsch des Oberkommandierenden hatte Norma Cevna die zwölf vorhandenen computergestützten Geräte in die Navigationsanlagen ausgesuchter Faltraumschiffe eingebaut. Vorian hatte nicht die Absicht, seine Siegesaussichten durch Aberglauben mindern zu lassen.
Seit mehreren Wochen schon stießen immer neue Kampfgruppen, sobald Waffen, Raumschiffe und Personal bereitstanden, ins Synchronisierte Imperium vor. Alles in allem konnte die Armee des Djihad für die Große Säuberung über tausend Großkampfschiffe aufbringen. Die gesamte Flotte war in neunzig Kampfgruppen zu zwölf Einheiten unterteilt worden, und jede Gruppe hatte eine Liste von Zielen abzuarbeiten. In ihren Hangars standen hunderte von mit Puls-Atomwaffen beladenen Kindjal-Bombern. Manche Kindjals hatten versierte Veteranen als Piloten, andere lediglich hastig ausgebildete Freiwillige der Märtyrer-Jünger.
Bei jedem Einsatz des Holtzman-Antriebs, wenn man von einem Sternsystem in ein anderes sprang, würden einige Raumschiffe im Nichts verschwinden und unsichtbaren interdimensionalen Gefahren zum Opfer fallen. In Anbetracht der zehnprozentigen Verlustquote konnten die Kampfgruppen nur sieben bis acht Faltraum-Sprünge durchführen, bevor ihre Chance auf Erfolg zu gering geworden war. Viele Faltraum-Scoutschiffe wurden von Freiwilligen geflogen, die zwischen den einzelnen Kampfgruppen den kriegswichtigen Kontakt aufrechterhalten sollten, während die großangelegte Offensive immer mehr Synchronisierte Welten erfasste.
Es gab, Corrin mitgerechnet, über fünfhundert feindliche Planeten. Die Liga wollte jede einzelne Omnius-Inkarnation ein für alle Mal ausmerzen. Zumindest statistisch gesehen, hatte die Liga genügend Raumschiffe zur Verfügung, um dieses Vorhaben verwirklichen zu können ...
Innerhalb weniger erregter Atemzüge war der Faltraum-Sprung überstanden. An den Sektorkoordinaten auf seiner Kommandokonsole und der Klarheit der sichtbaren Sterne erkannte Vorian, dass sein Flaggschiff es geschafft hatte. Obwohl die Faltraum-Sprünge hinsichtlich der präzisen Koordinaten oft ungenau verliefen, war seine Kampfgruppe im angepeilten Denkmaschinen-System eingetroffen.
»Neunzehn Planeten rund um zwei kleine gelbe Sonnen«, stellte der Navigator fest. »Das ist ohne Zweifel das Yondair-System, Oberkommandierender.«
Aus den Reihen des Kommandobrückenpersonals war ein Aufstöhnen der Erleichterung zu hören. Die Märtyrer-Jünger sprachen weitere Gebete.
»Tonübertragung abschalten. Melden Sie etwaige Verluste unserer Kampfgruppe.«
In der Nähe befanden sich sein Erster und sein Zweiter Offizier, Katarina Omal und Jimbay Whit. Omal war eine hoch gewachsene, etwas dunkelhäutige Frau, eine der tüchtigsten Offizierinnen der gesamten Flotte. Whit, der mit fünfundzwanzig Jahren schon einen Spitzbauch hatte, fungierte in Abwesenheit Abulurd Harkonnens als Vorians Adjutant. Allerdings entstammte Whit einer ruhmreichen Familie von Militärs und blickte auf eine Erfahrung zurück, die in keinem Verhältnis zu seinem Lebensalter stand, und hatte im Gefecht schon manchen Schmiss einstecken müssen. Vor Jahrzehnten hatte Vorian beim atomaren Großangriff auf die Erde an der Seite seines Großvaters gekämpft.
»Ein Raumschiff fehlt, Oberkommandierender«, meldete Omal.
Vorian nahm den Ausfall und die Identifizierung der verschwundenen Einheit zur Kenntnis, ohne Betroffenheit zu zeigen. Liegt völlig im Bereich der zu erwartenden Verlustrate.
Eine Alarmsirene ertönte, und ein Komschirm der Kommandobrücke meldete ein Problem an Bord der LS Entdecker Ginjo an, einem nach Vorians Empfinden mit einem recht unglücklichen Namen benannten Raumschiff der Kampfgruppe. Bisher waren in der Djihad-Armada insgesamt vier Kriegsschiffe nach dem früheren Großen Patriarchen getauft worden. Der korrupte Politiker verdient keine derartige Ehre. Diese Einheiten hätten nach Xavier Harkonnen benannt werden müssen.
»Feuer im Maschinenraum«, gab eine Stimme per Komverbindung durch. »Ursache: Überlastung des Holtzman-Antriebs. Weitere Faltraum-Durchquerung ausgeschlossen.«
Durch ein Bullauge sah Vorian das gespenstische Glühen der Flammen an der Unterseite des Raumschiffs, wo aus einer Bruchstelle des Rumpfs die Bordatmosphäre entwich. Hermetische Schotts schlossen sich, und interne Brandbekämpfungssysteme verhinderten eine Ausbreitung des Feuers.
Vorians Kom übermittelte eine Schadensmeldung. »Unmittelbar nach Verlassen des Faltraums ist im Holtzman-Antrieb ein Defekt aufgetreten. Wir haben Glück gehabt, dass wir durchgekommen sind, aber dann ist etwas explodiert und hat einen Brand ausgelöst. Unser erster Faltraum-Sprung, und schon haben wir eine Havarie.«
Der Krieg bringt ständig neue Überraschungen, dachte Vorian. Meistens solche unangenehmer Natur.
Im Laufe der nächsten Stunde überwachte Vorian die Evakuierung des betroffenen Raumschiffs und die Umverteilung der freiwilligen Besatzung von achthundert Männern und Frauen auf die restlichen zehn Kriegsschiffe. Auch sämtliche Kindjal-Bomber mitsamt ihren Puls-Nuklearsprengköpfen wurden von anderen Einheiten übernommen.
Um gegen die erschreckende Gefahr vorzubeugen, dass Omnius an die Faltraum-Technologie gelangte, falls die Operation scheiterte, ließ Vorian den Holtzman-Antrieb zerstören, bevor das leere Wrack im All zurückgelassen wurde.
Vorian holte tief Luft und gab dann den Befehl zum Vernichtungsschlag. »Es ist an der Zeit, dass wir verrichten, wozu wir hierher gekommen sind. Die nukleare Bombardierung von Yondair ist unverzüglich einzuleiten. Alle Einheiten der Kindjal-Geschwader mit Puls-Atomwaffen starten, ehe die Denkmaschinen Gegenwehr organisieren können.«
Obwohl die Synchronisierten Welten gegenwärtig von der gewaltigen militärischen Roboter-Flotte entblößt waren, existierten zweifellos lokale Verteidigungsanlagen und rings um zahlreiche feindliche Bollwerke wahrscheinlich auch orbitale Abwehrstationen. Bei jedem Angriff auf einen »schutzlosen« Denkmaschinen-Planeten dauerte es wenigstens einen Tag, die Djihad-Einheiten in Position zu bringen, die schnellen Bomber mit den Puls-Atomwaffen zu starten und den Erfolg der Aktion zu überprüfen. Trotz der beinahe zeitverlustfreien Beförderung zwischen den Zielen würden die Djihadis entsprechend lange brauchen, um Omnius' verzweigtes Imperium in Trümmer zu legen.
An der Spitze seiner übrigen Kriegsschiffe flog Vorian die größte Welt das Systems an, den Ringplaneten Yondair. Die Geschwader der mit Nuklearwaffen beladenen Kindjals schwärmten aus den Starthangars, rasten unter den Ringen hindurch, setzten zuerst die Orbitalstationen außer Gefecht, verstreuten Nuklearsprengkörper in der Atmosphäre und überschütteten anschließend, um die Vernichtung zu vollenden, die Landschaft mit Atomwaffen. Puls um Puls wurde auf dem Planeten jedes Gelschaltkreis-Gehirn deaktiviert.
Alle menschlichen Sklaven, die sich auf dem Planeten befinden mochten, mussten als bedauernswerte Kollateralschäden verzeichnet werden. Das war höchst bedauerlich, doch die Notwendigkeit einer schnellen und völligen Vernichtung jedes einzelnen Allgeists erlaubte keinerlei Rücksichtnahme.
Vorian blickte nach vorn, unterdrückte seine Gewissensbisse und gab den Befehl, sich am Rand des Yondair-Systems zu sammeln. Nach gründlicher Auswertung der Operation starteten seine Kriegsschiffe zur nächsten Denkmaschinen-Welt.
Und zur nächsten.
Mit etwas Glück hatten die anderen Kampfgruppen bei den übrigen von Omnius beherrschten Welten ähnlichen Erfolg. Wie eine Woge der Vergeltung breitete sich die atomare Vernichtung in den durch Omnius unterworfenen stellaren Regionen aus. Anfangs fielen die Denkmaschinen-Bastionen, die das leichteste Ziel boten, und zuletzt sollte auch Corrin angegriffen werden.
Der Allgeist konnte diesem Vorgehen nichts entgegensetzen, hatte keine Möglichkeit, Warnungen schnell genug durch sein Imperium zu befördern. Wie verstohlene Attentäter erschienen die Djihad-Kriegsschiffe unerwartet am Einsatzort, schlugen zu und verschwanden wieder. Der Untergang musste Omnius völlig unvermutet ereilen.
So jedenfalls sah der Plan es vor ...